Samstag, 3. Oktober 2009

Der gastliche Kalbskopf - nach Ludwig Bechstein




Der gastliche Kalbskopf

frei erzählt nach Ludwig Bechstein



Ein Elternpaar hatte drei Söhne, zwei waren gescheit, oder bildeten sich wenigstens ein, dies zu sein, der dritte, jüngste, Hans, war immer der dumme. Nur seine Mutter liebte ihn so, wie er war. Daher war er auch oft der Gegenstand des Neides seiner Brüder. Als die großen ziemlich herangewachsen waren, beschlossen sie, gemeinschaftlich die Welt zu sehen und draußen ihr Glück zu machen. Sie sprachen daher zu ihrem Vater: „Vater, gib jedem von uns zehn goldene Taler, wir wollen hinaus in die Welt, wollen fremde Städte und Länder sehen und unser Glück machen.“ Und zur Mutter sprachen sie: „Mutter, gib uns einen Beutel voll Brot und Speck, wir wollen eine weite Reise tun.“ –
„Es ist gut, wenn die Jungen fortkommen und sich draußen Arbeit suchen, wir wollen sie ziehen lassen!“ sprach die Mutter zum Vater und so wurde der Brüder Wunsch erfüllt.



Wie die Brüder zu ihrer Reise rüsteten, sah es Hans und wie er ihren Entschluss vernahm, so sagte er: „Will auch mit! Will auch zehn Goldtaler, will auch einen Ranzen voll Speck und Brot! Auch in die Welt!“ –

„Du wirst etwas Rechtes draußen sehen und erreichen, dummer Hans!“ grollte der Vater und die Mutter schrie: „Ach, mein Goldkind! Bleibe daheim und nähre dich redlich!“
Aber der Hans wollte einmal und da half kein Zureden, er erhielt, was die Brüder erhalten hatten und wanderte mit ihnen von dannen.

„Dümmeres gibt es gar nicht, als dass der dumme Hans sich uns aufgepackt hat! Der konnte doch wahrlich daheim bleiben! Der wird was Gescheites erleben! Wir wollen tüchtig drauf los schreiten, dass er uns nicht nachkommt, da wird er schon von selbst umkehren“, sprachen die Brüder auf ihrem Wege untereinander. Als bereits Hans, der jüngste, ein Stückchen zurückgeblieben war, weil er nicht so große Schritte machen konnte, als seine zwei älteren Brüder.

Hans ließ die Brüder noch eine Strecke hinlaufen. Auf einmal schrie er: „Heida! Holla! Was ist das? Was liegt da? Ach, ein Schatz!“

Die Brüder, als sie den Hans so rufen hörten, blieben stehen, sahen sich um, sahen, wie ihr Bruder sich bückte und Zeichen der Verwunderung über etwas machte, was dort lag, dann sprachen sie zueinander: „Schau, der Hans hat etwas gefunden, daran wir, ins Gespräch vertieft, vorüber gingen, geschwinde zurück!“

Eilend liefen die älteren Brüder zu ihrem Hans zurück, und sahen nach dem Schatz, den Hans gefunden hatte – es lag aber nichts dort, als eine Glasscherbe, die in der Sonne blitzte.

„Dummer Hans!“ schalten die getäuschten Brüder. „Nein“, sprach Hans, „ist’s kein Diamant? Tut mir leid!“

Nach einer Weile waren die Brüder dem kleineren und schwächeren Hans wieder eine gute Strecke vorgeschritten und er konnte nicht nachkommen, weil er sich im Gehen niemals sonderlich geübt hatte. Da schrie er abermals: „Hei! Holla! Aber das ist was! He! Kommt all daher! Ach, die Pracht! Ach, die Pracht!“ und dabei machte er Freudensprünge um einen Punkt.

Die Brüder glaubten, der Hans habe jetzt wirklich etwas gefunden und liefen zu ihm zurück. Als sie aber die Stelle erreichten, war es ein großer Schwarm Goldkäfer, die zufällig auf einen Punkt zusammengekommen waren und ihre goldenen Rücken schillerten in der Sonne. Die älteren Brüder beschimpften den Hans noch schlimmer. Der Hans aber machte sein dümmstes Gesicht und sagte: „Ich dachte, es wäre ein Haufen Goldklümpchen. Ist’s nichts? Tut mir leid.“ Er hatte aber beide Male nur gerufen, um wieder bei den Brüdern zu sein, ohne seine Schritte verdoppeln zu müssen und sie einzuholen.

Leider ließ sich dieses zweimal erprobte Kunststück nicht fortsetzen. Als Hans nach einer Strecke Weges in einem Walde abermals zurückgeblieben war und wieder bei einem Funde stehen blieb und schrie, so taten seine Brüder, als hörten sie es nicht und gingen weiter ihres Weges und waren bald hinter den Waldbäumen verschwunden.
„Lauft hin, wenn ihr mich nicht mitnehmen wollt!“ sprach Hans, „so kann ich desto besser ausruhen!“ Er setzte sich auf einen Stein und öffnete seinen Beutel. Aß Brot und Speck, trank auch einmal, denn die Mutter hatte ihm vorsorglich eine gefüllte Flasche in den Beutel geschoben, dann legte er an einer bequemen Stelle den Beutel unter den Kopf und machte ein Schläfchen. Da der Hans weites Wandern nicht gewohnt und sehr müde geworden war, so dauerte sein Schläfchen etwas lange und als er endlich daraus erwachte, begann es schon Abend zu werden.

‚O weh, o weh!’ dachte Hans. ‚Ist es schon so spät! Wo soll ich nun hin, bei der Nacht und im Walde? Räuber können kommen und mir meine zehn Taler nehmen. Wölfe können kommen, und mir mein übriges Brot samt Speck fressen, und hinterdrein mich dazu. Das wird nicht gut. Hans, Hans! Wärst du doch zu Hause bei der Mutter geblieben!’

Es wurde schnell dunkel und Hans fürchtete sich, weiter zu gehen. ‚Wo ich alleweil bin, ist außer mir niemand’, sprach er zu sich selbst, ‚und ich tue mir nichts. Gehe ich aber weiter, so könnte ich auf jemand stoßen, der mir was tut. Hier steht eine dicke Eiche, da will ich hinaufsteigen und mich oben in das Geäste setzen, da sucht mich kein Räuber, und Wölfe klettern nicht.’

Gedacht, getan, Hans kletterte auf den Baum, und sah sich droben ein wenig um. Siehe, da erblickte er ganz nahe ein stattliches Haus, dessen Zimmer von Lichtern erhellt waren.

„O ich dummer Hans!“ rief Hans. „Konnte ich nicht noch ein paar Schritte gehen, und in dem schönen Hause einkehren? Potz Blitz! Wenn man zehn Taler in der Tasche hat, braucht man da ein Nachtquartier auf Waldbäumen zu suchen?“ Eilend kletterte Hans vom Baume wieder herab und schritt nach dem Hause zu, dessen Lichter ihm bald entgegen schimmerten. Bald stand er vor dem Hause, es war hell und groß, nur nichts Lebendes ließ sich sehen. Hans fand die Türe offen, alles hell von brennenden Kerzen, auch die Türen einer Reihe von Zimmern standen geöffnet, aber nirgends ein Mensch, auch kein Hund und keine Katze. Indessen stand in einem der Zimmer ein gedeckter  Tisch, darauf standen eine Flasche voll Wein und Teller voll Würsten und Brot, kalten Braten, Butter, Käse u. dergleichen. In einem Zimmer gleich daneben stand eine schöne Wiege, er schaute nach und in der Wiege lag ein K – nein, kein Kind, sondern ein sehr schöner Kalbskopf, auf seidenen Kissen. Hans schielte hinein und murmelte: „Ein prächtiger Kalbskopf! Schade, dass selbiger nicht gebraten ist. Zu dem hätte ich just Appetit.“ Plötzlich öffnete der Kalbskopf seine Augen – und Hans erschrak, er hatte nicht gedacht, dass derselbe lebendig sei.

„Schönen guten Abend“, sagte der Kalbskopf und ganz erschrocken stammelte Hans: „Gu-gu-guten Abend!“ Das war eine neue Erfahrung, der gute Hans hatte noch nie einen Kalbskopf reden gehört.

„Sei willkommen!“ sprach der Kalbskopf weiter. „Mir wird die Zeit so grässlich lang. Setze dich, iß, trink, mache dir’s bequem, dort steht ein Himmelbette, da kannst du gut schlafen. Wenn du aber morgen munter bist, da kannst du mir erzählen, wie es draußen in der Welt zugeht.“

‚Ich?’ dachte Hans und erschrak aufs Neue. ‚Ich soll von der Welt erzählen? Das werden ja tolle Geschichten. Wenn ich nun nichts weiß da tut mir das Kalbsding am Ende noch etwas. Ob es wohl ein ganzes Kälbchen ist, oder nur ein Kopf? Ob es wohl aus der Wiege herausspringen kann? Beißen wird es doch nicht – dazu sieht es zu gutmütig aus.’

Hans setzte sich und aß und ließ sich’s trefflich wohl schmecken, doch quälten ihn über dem Essen, Gedanken was noch nie bei ihm der Fall gewesen war.

‚Wie fang ich’s nur an’, dachte Hans, „dass ich nicht gegen die Höflichkeit verstoße? Wie spreche ich den Kalbskopf an? Ich kann nicht unterscheiden, ob es ein Er ist oder eine Sie ist? Ich werde gewiss etwas Dummes machen, so oder so.’

Trotz dieser schweren Gedanken ließ sich’s Hans doch außerordentlich gut schmecken und als die Mahlzeit gehalten war, kam es zu keiner Abendunterhaltung zwischen ihm und dem Kopfe, denn Hans war sehr müde und legte sich in das Himmelbette und schlief bis in den andern Tag hinein. Der Kalbskopf nahm das nicht übel, er hatte eine bewunderungswerte Geduld. Am andern Morgen fand Hans seine Kleider gereinigt und sein Frühstück neben der Wiege des Kalbskopfes, der ihm freundlich guten Morgen sagte und seine Ohren mit vieler Anmut bewegte. Nun aber sollte Hans erzählen und machte den Versuch und siehe, es ging besser, als er geglaubt. Er begann zunächst von sich, denn jeder Mensch ist der Mittelpunkt seiner Welt, von seiner Mutter, von dem Vater, den Brüdern, den Tanten und Onkeln und von deren Kindern. Von dem Hause seiner Eltern, deren Viehstall, wie viele Ziegen, Enten, Hühner, wie viele Kätzchen. Dann vom Gärtchen, von dessen Bäumen, Beeten und Blumen.

Hans hatte an dem Kalbskopf den geduldigsten Zuhörer. Bisweilen schien es Hans, als glänze eine Träne in dessen großen blassblauen Augen und als atme er tiefer auf, fast wie ein Mensch seufzt. Ein Wort gab das andere, nie stockte die Unterhaltung. Hans schilderte bis ins einzelne das Dorf, in dem sein Elternhaus stand, die Häuser, die Kirche, die Schule, den Kirchhof, die Grabsteine, den Pfarrer, den Bürgermeister, dann die Flur des Dorfes, den Bach, die nächsten Berge.

Hans war über sich selbst verwundert, dass er so vieles wusste. Darüber verging mancher Tag. Dann fielen ihm auch alle Märchen ein, welche ihm die Großmutter, als diese noch lebte, und er noch ein kleiner Junge gewesen war, erzählt hatte: von verzauberten Prinzen und Prinzessinnen, von Zauberfeen und Hexen, von verwunschenen Schlössern und gläsernen Bergen. Das alles hörte der Kalbskopf mit großem Wohlgefallen an. Besonders schien er sich zu freuen, wenn die Märchen schilderten, wie die verzauberten Prinzen und Prinzessinnen ihre Erlösung gefunden. Und dabei sorgte der Kalbskopf auf das eifrigste dafür, dass es Hans niemals an Trank und Speise mangle und dass er sich und sein Gedächtnis durch allzu vieles Erzählen ja nicht zu sehr anstrenge. Es war ein wahrhaft gastlicher Kalbskopf. Immer mehr fiel dem Hans ein: er erzählte von den Gespenstern, die es gebe, von Feuermännern und Irrwischen, vom Wilden Jäger und von dem Erdmännlein, von der Nixe im Bache und dem weißen Fräulein am alten Schlossberge in der Nähe seines Dorfes. Endlich fiel dem Hans ein, dass er ja auch musikalisch sei und ein Instrument bei sich habe, das er zur Unterhaltung trefflich zu spielen verstehe. Hans packte dieses Musikinstrument, das sehr sorglich verwahrt war, aus: es war eine Mundharmonika und als Hans die ersten Töne darauf spielte, machte der Kalbskopf ganz große Augen und drückte durch Wedeln mit den blonden Ohren seinen stillen Beifall aus.

Lange Zeit erfreute sich Hans der Gastlichkeit des Kalbskopfes und der stets unsichtbar bleibenden Bedienung des Hauses, und dachte: ‚Es ist gut, dass ich nichts von der Dienerschaft sehe, da brauche ich auch kein Trinkgeld zu geben, wenn ich wieder fortgehe’, denn der Gedanke an das Fortgehen war dem Hans doch allmählich gekommen. Er kannte keine andere Welt als die kleine seines Heimatortes. Sie füllte seine Seele und den Kreis seiner Ideen aus und da er täglich nur von ihr sprach, mit allen Gedanken nur in ihr lebte, so war es kein Wunder, dass eine stille Heimatsehnsucht im Herzen von Hans erwachte.

Der Kalbskopf besaß ungleich mehr Einfühlungsvermögen, als die überklugen Menschen und nahm daher eines Tages, als Hans wieder vom Daheim erzählte und dabei ein trauriges Gesicht machte, das verständige Wort: „Mein guter Freund“, sprach er, „Du sehnst dich heim. Ich begreife dieses Gefühl und verstehe dasselbe. Reise heim, ich will dich ausstatten, wie du es noch nie warst, aber kehre wieder. Dort liegt ein kleiner Schlüssel, er passt in jedes Schloss, auch in jenen Schrank da hinten und wähle dir aus den darin liegenden Anzügen den schönsten aus. Dort jene Tür führt zum Stall. Öffne sie mit dem Schlüssel und wähle dir das beste Ross. Dort in jener Kiste liegt Gold und ein Zauberpfeifchen. Wenn du verirrt bist und du pfeifst darauf, so kommen Tiere gesprungen und laufen dir voran und zeigen dir den richtigen Weg.“ Hans staunte und tat, wie ihm geheißen war.

Heilig und teuer versprach Hans dem Kalbskopfe, zu ihm zurück zu kommen. Ob Hans dem gastlichen Kalbskopf zum Abschiede einen Kuss gegeben, weiß man nicht so ganz bestimmt.

Im stattlichsten Anzug mit goldenen Tressen besetzt, auf prächtigem Schimmel ritt Hans von dannen, alle Taschen voll Gold und das Pfeifchen an goldener Schnur um den Hals.

Wie ging es unterdessen seine ach so klugen Brüdern? Die waren sehr froh, dass der dumme Hans sie nicht mehr belästigte. Sie ließen sich’s recht gut schmecken, so lange Brot und Speck in ihren Ranzen vorhielten und so lange in den Wirtshäusern die zehn Taler eines jeden ausreichten, was nur acht Tage dauerte. Dann aber sprachen sie zueinander: „Die Welt ist doch zu groß, als dass wir sie ganz kennen lernen könnten. Wie wäre es, wenn wir umkehrten? Es ist doch überall nicht besser, als daheim. Wir haben in diesen acht Tagen eine ziemliche Anzahl Wirtshäuser gesehen, es sieht fast das eine aus, wie das andere. Wir haben zwar kein sonderliches Glück gemacht, aber wir hätten ja vielleicht etwas finden können. Dass uns hier draußen nichts vom Glücke begegnete, ist ein Beweis der alten Wahrheit, dass nur in der Heimat eines jeglichen der wahre Schatz seines Glückes ruht. Eilen wir, diesen Schatz wieder aufzusuchen.“

Als die Brüder heim kamen, sah sie der Vater finster an und sagte: „Ihr seid die wahren Helden, ihr Landstreicher! Ihr Tagediebe! Zwanzig Taler habt ihr durchgebracht und für zehn Taler Kleider und Schuhe bei Raufereien zerrissen. Jetzt arbeitet dafür! Nicht einen Groschen gebe ich euch, bis ihr mir das an euch zum Fenster hinausgeworfene Geld ersetzt habt!“

Die Mutter aber rief: „Ihr Rangen! Wo habt ihr meinen Hans, meinen Jüngsten? Wie könnt ihr euch nur unterstehen, ohne meinen Hans über unsere Schwelle zu schreiten?“
Es fiel den Brüdern sehr schwer, die zürnende Mutter glauben zu machen, dass Hans mit Absicht immer hinter ihnen zurückgeblieben sei, ganz sicher, um sich abzusondern.
Die Brüder mussten fürchterlich arbeiten, denn dreißig Goldtaler wollen verdient sein.

Nach drei Wochen gegen Abend entstand im Dorf ein großer Auflauf. Es ritt ein vornehmer Reiter hindurch, angetan wie ein Edelmann. Die Leute dachten, es wäre der Prinz selbst.

Alles lief an die Fenster, vor die Türen und ein großer Haufe lief hinterdrein. Da fielen blanke Goldstücke auf den Weg, nun war es schon der König und alles schrie: „Vivat!“ und schlug sich um die Goldstücke. Vor dem Elternhaus von Hans hielt der schmucke junge Reitersmann und stieg vom Rosse.

Die Eltern traten ehrerbietig vor ihr Häuslein. Was konnte bei ihnen der fremde Herr wollen? Die Brüder kamen von der Arbeit und sahen Mistfinken ähnlicher als Goldammern. Ihre Mäuler blieben offen stehen vor Verwunderung, als der Fremde erst ihrer Mutter, dann ihrem Vater um den Hals fiel und sie herzte und küsste und hernach rief: „Na, Michel, na Karl! Seid gegrüßt! Ihr kennt am Ende euern Hans nicht mehr?“ und ihnen die Hände bot.

Es war der Hans und kein Prinz und kein König. „Der dumme Hans ist wieder da, ist reich geworden und wirft mit Geld um sich, der Hans Narr!“ lief die Rede durchs Dorf. Die Alten freuten sich, die Brüder zogen mit scheelem Neide das schönes Pferd von Hans in den Stall und flüsterten miteinander: „Wir müssen uns tot schinden, um dem Vater die armseligen dreißig Taler wieder zu verdienen. Und Hans, der Glückspilz, der gar nicht mit Gelde umzugehen weiß, wirft es auf die Gasse. Wir wollen ihm heute Nacht das Geld wegnehmen, es ist ihm doch nicht nütze. Überhaupt ist nicht recht einzusehen, warum so ein Dummer glücklich sein soll?“

In der Nacht kamen die Brüder in die Kammer, wo Hans schlief. Hans war aber nicht so dumm, wie seine Brüder dachten. Er bemerkte, wie sie seine Sachen durchwühlten und stürzte sich sofort auf die zwei älteren. Obwohl sie größer waren, schlug er sich so tapfer und mit aller Kraft dass sie laut aufheulten: „Au, au, auweih!“ und glaubten das der Himmel eine Bassgeige sei. Darauf flohen sie schleunigst in ihre Zimmer und verschlossen angst schlottern die Türen.

Hans verlebte etliche schöne Tage mit seinen Eltern. Die bösen Brüder ließen sich nicht mehr in seiner Nähe blicken. Er hatte sich Respekt verschafft.

Obwohl er so großzügig zu den Menschen im Dorf gewesen war, versuchten nun viele ihn um sein gutes Geld zu bringen. Falsche Angebote und Versprechungen von Leuten von denen selbst Hans wusste, dass sie nie Wort halten würden, ärgerten ihn. Als er sich aber nun  nicht ausnehmen ließ, wie eine Weihnachtsgans, denn das erwartete so mancher vom dummen Hans hatte er plötzlich keine ach so guten Freund mehr. Er beschenkte seine Eltern reichlich, sattelte sein Pferd und ritt von dannen. Er wollte wieder zu dem Waldhaus, zum gastlichen Kalbskopfe, da gab es nicht Neid, nicht Habsucht, nicht Verspottung, nicht Raubsucht, aber zu essen und zu trinken vollauf. Und gute Unterhaltung, denn der Kalbskopf wusste auch zu sprechen und drückte sich noch dazu außerordentlich gewählt aus, woraus Hans schloss, dass derselbe eine sehr gute Erziehung erhalten haben müsse.

Hans ritt ins Blaue hinein und bald wusste er keinen Weg mehr, aber da half das Pfeifchen trefflich. Ein Pfiff, und es kam ein Hase oder ein Fuchs, oder ein Vogel, liefen und flogen vor dem Pferde her und als der Wald erreicht war, sprangen muntere Rehe voran. Und so wurde das Haus im Walde ohne Gefahr wieder gefunden. Der Kalbskopf rief Hans, als dieser zu ihm eintrat, ein herzliches „Willkommen!“ entgegen und drückte seine Freude aus, Hans wieder zu sehen.

„Du kommst zu rechter Zeit, mein lieber Freund!“ sprach der Kalbskopf. „Mit großer Sehnsucht erwartete ich dich, hättest du mich im Stich gelassen und dein Versprechen wieder zu kommen vergessen, meine Hoffnung wäre dann zunichte gewesen.“

Hans horchte auf bei diesen für ihn rätselhaften Worten, doch der Kalbskopf fuhr fort: „Achte auf das, was ich dir sage, denn von diesen Anordnungen hängt mein Leben ab und vielleicht auch dein Glück. Gehe jetzt einmal in die Küche, dort steht ein großer Hackblock und in der Speisekammer daneben liegt ein scharf geschliffenes Beil. Nimm dieses Beil und lege dasselbe auf den Hackblock – dann komme wieder zu mir herein.“

Hans befolgte dies Geheiß genau. ‚Wenn ich weiter nichts tun soll’, dachte er, ‚so ist es leicht.’ Bald hatte er das Gebot erfüllt und trat wieder in das Zimmer, welches der Kalbskopf bewohnte. „Nicht wahr, mein guter Freund“, rief dieser ihm entgegen, „das war ein sehr leichtes Stück Arbeit? aber nun kommt das schwerere. Ich hoffe sehr, dass du mir vertraust und mutig genug für diese Tat bist.

Jetzt nimm meine Wiege, in der ich ruhe und trage sie samt mir in die Küche und stelle sie neben den Hackblock.“

„Auch das, mit Vergnügen!“ sagte Hans und trug die Wiege in die Küche. Sie war zwar etwas schwerer, als Hans dem Anscheine nach geglaubt hatte, aber Hans hatte Kraft.
„Jetzt aber, bester Freund“, sprach wieder der Kalbskopf, „jetzt kommt das schwerste Stück – jetzt erschrick nicht. Jetzt decke mich auf.“

Hans räumte die seidenen Kissen hinweg – o weh – da endete der Hals des Kalbskopfes in einen armdicken Schlangenleib, der hing am Kopf, wie ein scheußliches Gewächs, und war mit blauen und grünen Schuppen bedeckt.

„Jetzt hebe mich aus der Wiege auf den Block und haue mir mit dem Beile diesen abscheulichen Leib ab, der an mir hängt.“ Hans schauderte und stammelte: „So soll ich dich töten, du guter, einziger Kalbskopf? Ich hab dich lieb gewonnen!“

„Mache nur frisch zu!“ versetzte der Kalbskopf. „Es wird dir gelingen, mir zu liebe.“
Hans gehorchte, nicht ohne Scheu und Zagen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, er hob das Beil, er zielte gut, er führte den Hieb – und siehe, es floss kein Tropfen Blut, der Schlangenleib schwand, der Kalbskopf verwandelte sich in ein holdes Mädchengesicht und aus der Wiege erhob sich eine Feengestalt von bezaubernder Anmut. Stieg heraus und fiel Hans um den Hals. „Du hast mich erlöst, du Guter, Lieber, Treuer! Nun nimm dir was du willst! All meine Schätze und mich dazu, wenn ich dir gefalle.“

„Mein liebstes Mädchen!“ nahm der erstaunte Hans das Wort. „Du bist mir schon als Kalbskopf äußerst appetitlich erschienen, so aber bist du mir noch tausendmal lieber. Ich nehme Dich!“ und sie sanken sich in die Arme.

Hans wurde sehr glücklich, er besuchte seine Eltern, verzieh seinen Brüdern und heiratete die schöne erlöste Jungfrau. Weder er noch seine Gemahlin sehnte sich in die sogenannte große weite Welt. Sie genossen ihr Leben in der reinen Natur des Waldes und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

Ende



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