Mittwoch, 9. September 2009

Schwan, kleb an - frei nach Ludwig Bechstein



Schwan, kleb an

Frei erzählt nach Ludwig Bechstein

 
Es waren einmal drei Brüder, von denen hießen der älteste Jacob, der zweite Friedrich und der dritte und jüngste Gottfried. Dieser jüngste war das Opfer aller Neckereien seiner Brüder und der Sündenbock ihres Unmuts. Wenn ihnen etwas quer über den Weg lief, so musste Gottfried dafür herhalten und er musste sich das alles gefallen lassen, weil er von schwächlichem Körperbau war und sich gegen seine stärkeren Brüder nicht wehren konnte. Dadurch wurde ihm das Leben sauer gemacht und er sann Tag und Nacht darauf, sein Schicksal erträglicher zu machen. Als er einmal im Wald war, um Holz zu sammeln, und bitterlich weinte, trat ein altes Weiblein zu ihm, das fragte ihn warum er weine und er erzählte ihr all seinen Kummer. „Ei, mein Junge“, sagte das Weiblein darauf, „die Welt ist so groß! Warum versuchst du nicht anderswo dein Glück?“ Das nahm sich Gottfried zu Herzen und verließ eines Morgens ganz früh das väterliche Haus und machte sich auf den Weg in die weite Welt, um, wie ihm das Weiblein geraten hatte, sein Glück zu suchen. Aber der Abschied von dem Ort, wo er geboren worden war und wenigstens eine glückliche Kindheit verlebt hatte, ging ihm doch nahe und er setzte sich auf einen Hügel nieder, um noch einmal recht das heimatliche Dorf zu betrachten. Siehe, da stand das Weiblein hinter ihm, schlug ihn auf die Schulter und sprach: „Das hast du gut gemacht, mein Junge! Aber was willst du nun anfangen?“ – Gottfried dachte jetzt erst daran, was er beginnen solle? Er hatte bis jetzt geglaubt, das Glück müsse ihm wie eine gebratne Taube in den Mund fliegen. Das Weiblein mochte seine Gedanken erraten, lächelte gütig und sagte: „Ich will dir sagen, was du anfangen kannst. Weil ich dich lieb habe und glaube, dass du auch mich nicht vergessen wirst, wenn dir das Glücke in den Schoß fällt.“ Gottfried versprach dies mit Hand und Mund. Da fuhr die Alte fort: „Heute Abend, wenn die Sonne untergeht, gehe an den großen Birnbaum, der dort am Kreuzweg steht. Darunter wird ein Mann liegen und schlafen, an den Baum aber wird ein großer schöner Schwan angebunden sein, den Mann hüte dich aufzuwecken und deshalb musst du gerade mit Sonnenuntergang kommen. Den Schwan aber knüpfst du los und nimmst ihn mit. Die Leute werden in seine schönen Federn bewundern und du magst ihnen erlauben, eine davon auszurupfen. Wenn aber der Schwan berührt wird, so wird er schreien und wenn du dann sagst: ‚Schwan, kleb an!’ so wird dem, der ihn berührt, die Hand fest ankleben und nicht eher wieder loskommen, bis du sie mit diesem Stöcklein antippst, das ich dir jetzt zum Geschenk mache. Wenn du nun so einen ansehnlichen Zug Menschenvögel gefangen hast, so führe sie nur immer grad aus. Da wirst du an eine große Stadt kommen, da wohnt eine Königstochter, die noch nie gelacht hat. Bringst du sie zum Lachen, so ist dein Glück gemacht. Aber dann vergiß auch mich nicht, mein Junge!“ Gottfried gab nochmals das Versprechen und war mit Sonnenuntergang richtig an dem bezeichneten Baum. Der Mann lag da und schlief und ein großer schöner Schwan war mit einem Band an den Baum gebunden. Gottfried band den Vogel beherzt los und führte ihn davon, ohne dass der Mann erwachte.


Nun traf es sich, dass Gottfried mit seinem Schwan an einer Baustätte vorüber kam, wo einige Männer mit hochgezogenen Hosenbeinen Lehm kneteten. Die bewunderten die schönen Federn des Vogels und ein vorwitziger Junge, der über und über voll Lehm war, sagte laut: „Ach wenn ich doch nur eine solche Feder hätte.“ – „Zieh dir eine aus!“ sprach Gottfried freundlich. Der Junge griff nach dem Schweife des Vogels, der Schwan schrie: „Schwan, kleb an!“ sprach Gottfried und der Junge konnte nicht wieder los kommen, er mochte anfangen was er wollte. Die andern lachten, je mehr der Junge schrie, bis vom nahen Bach eine Magd herzugelaufen kam, die mit aufgeschürztem Rocke dort gewaschen hatte. Die fühlte Mitleid mit dem Jungen und reichte ihm die Hand, um ihn loszumachen. Der Schwan schrie: „Schwan, kleb an!“ sprach Gottfried und die Magd war ebenfalls gefangen. Als Gottfried mit seiner Beute eine Strecke gegangen war, begegnete ihm ein Schornsteinfeger, der lachte über das sonderbare Gespann und fragte die Magd, was sie denn da triebe? „Ach liebster Hans“, antwortete die Magd kläglich, „gib mir doch deine Hand und mach mich von dem verteufelten Jungen los.“ – „Wenn’s weiter nichts ist!“ lachte der Schornsteinfeger und gab der Magd die Hand, der Vogel schrie: „Schwan, kleb an!“ sprach Gottfried und auch der Schornsteinfeger war ebenfalls verzaubert. Sie kamen nun in ein Dorf, wo eben Kirchweih war. Eine Seiltänzergesellschaft gab dort Vorstellungen und der Harlekin in buntkarierten Anzug machte eben seine Späße. Er riss Mund und Nase auf, als er das seltsame Kleeblatt sah, das an dem Schweife des Schwans fest hing. „Bist du jetzt ein Narr geworden, Schornsteinfeger?“ lachte er. – „Da ist gar nichts zu lachen!“ antwortete dieser. „Das Weibsbild hält mich so fest, dass meine Hand wie angenagelt ist. Mach mich los, Harlekin, ich tu dir auch einmal einen Gefallen.“ Der Spaßmacher fasste die ausgestreckte Hand des Schornsteinfegers, der Vogel schrie: „Schwan, kleb an!“ sprach Gottfried und der lustige Geselle war der Vierte im Bunde. Nun stand in der vordersten Reihe der Zuschauer der stattlich wohlbeleibte Bürgermeister des Dorfes, der machte ein gar ernsthaftes Gesicht dazu und er ärgerte sich gar sehr über den närrischen Zug, weil das wohl nicht mit rechten Dingen zugehen könne. Sein Eifer ging so weit, dass er den Spaßmacher an der freien Hand fasste und ihn losreißen wollte, um ihn dem Polizisten zu übergeben. Da schrie der Vogel und „Schwan, kleb an!“ sprach Gottfried und der Bürgermeister teilte das Schicksal der Vorgänger. Die Frau Des Bürgermeisters, eine lange dürre Spindel, entsetzte sich über das Missgeschick ihres Eheherrn und riss mit Leibeskräften an dem freien Arm desselben, der Vogel schrie: „Schwan, kleb an!“ sprach Gottfried und die arme Frau Bürgermeisterin musste trotz ihres Geschreis folgen. Nun hatte niemand mehr Lust, die Gesellschaft zu vergrößern.Gottfried sah schon die Türme der Hauptstadt vor sich; da kam ihm eine wunderschöne Kutsche entgegen, in der eine schöne junge, aber ernste Dame saß. Als diese den bunten Zug erblickte, brach sie jedoch in lautes Gelächter aus und ihre Dienerschaft lachte mit. „Die Königstochter hat gelacht!“ rief alles vor Freuden. Sie stieg aus, betrachtete sich die Sache noch genauer und lachte immer mehr bei den Gebährden, welche die Festgebannten machten. Der Wagen musste umwenden und fuhr nun langsam neben Gottfried in die Stadt zurück. Als der König die Kunde vernahm, dass seine Tochter gelacht habe, war er voll Entzücken und nahm selbst Gottfried, seinen Schwan und dessen wunderliches Gefolge in Augenschein, wobei auch er lachen musste, dass ihm die Tränen in den Augen standen. „Du närrischer Gesell“, sprach er zu Gottfried, „weißt du, was ich dem versprochen habe, der meine Tochter zum Lachen bringt?“ – „Nein“, sagte Gottfried. – „So will ich dir’s sagen“, antwortete der König. „Tausend Goldgulden oder ein schönes Gut. Wähle dir zwischen den beiden.“ Gottfried entschied sich für das Gut. Dann berührte er den Buben, die Magd, den Schornsteinfeger, den Spaßmacher, den Bürgermeister und die Bürgermeisterin mit seinem Stäbchen und alle fühlten sich frei und liefen davon, als brenne die Hölle hinter ihnen her, was neues unauslöschliches Gelächter verursachte. Da wurde die Königstochter bewegt, den schönen Schwan zu streicheln und sein Gefieder zu bewundern. Der Vogel schrie: „Schwan, kleb an!“ sprach Gottfried und so gewann er die Königstochter. Nachdem sie ihm die Hochzeit versprochen hatte, berührte er sie mit seinem Stöckchen. Der Schwan erhob sich in die Lüfte und verschwand in den blauen Horizont. Gottfried erhielt nun ein Herzogtum zum Geschenk. Er erinnerte sich auch des alten Weibleins, das die Ursache zu seinem Glücke war und ernannte sie zu seiner Haushofmeisterin in sein stattliches Schloss.


Ende


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