Freitag, 28. August 2009

Gebrüder Grimm - Die Bremer Stadtmusikanten




Gebrüder Grimm

Die Bremer Stadtmusikanten


Es hatte ein Mann einen Esel, der schon lange Jahre die Säcke unverdrossen zur Mühle getragen hatte, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, so dass er zur Arbeit immer untauglicher ward. Da dachte der Herr daran, ihn aus dem Futter zu schaffen, aber der Esel merkte, dass kein guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen. Dort, meinte er, könnte er ja Stadtmusikant werden. Als er ein Weilchen fort gegangen war, fand er einen Jagdhund auf dem Wege liegen, der jappte wie einer, der sich müde gelaufen hat.


 


„Nun, was jappst du so, Packan?“ fragte der Esel. „Ach“, sagte der Hund, „weil ich alt bin und jeden Tag schwächer werde, auch auf der Jagd nicht mehr fort kann, hat mich mein Herr wollen totschlagen, da hab ich Reißaus genommen. Aber womit soll ich nun mein Brot verdienen?“ – „Weißt du was“, sprach der Esel, „ich gehe nach Bremen und werde dort Stadtmusikant, geh mit und lass dich auch bei der Musik annehmen. Ich spiele die Laute und du schlägst die Pauken.“ Der Hund war’s zufrieden und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, so saß da eine Katze an dem Weg und machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.

„Nun, was ist dir in die Quere gekommen, alter Bartputzer?“ sprach der Esel. „Wer kann da lustig sein, wenn’s einem an den Kragen geht“, antwortete die Katze, „weil ich nun zu Jahren komme, meine Zähne stumpf werden und ich lieber hinter dem Ofen sitze und spinne als nach Mäusen herumjage, hat mich meine Frau ersäufen wollen. Ich habe mich zwar noch fortgemacht, aber nun ist guter Rat teuer, wo soll ich hin?“ – „Geh mit uns nach Bremen, du verstehst dich doch auf die Nachtmusik, da kannst du ein Stadtmusikant werden.“ Die Katze hielt das für gut und ging mit. Darauf kamen die drei Landesflüchtigen an einem Hof vorbei, da saß auf dem Tor der Haushahn und schrie aus Leibeskräften.


„Du schreist einem durch Mark und Bein“, sprach der Esel, »was hast du vor?“ – „Da hab ich gut Wetter prophezeit“, sprach der Hahn, „weil unserer lieben Frauen Tag ist, wo sie dem Christkindlein die Hemdchen gewaschen hat und sie trocknen will. Aber weil morgen zum Sonntag Gäste kommen, so hat die Hausfrau doch kein Erbarmen und hat der Köchin gesagt, sie wollte mich morgen in der Suppe essen und da soll ich mir heut Abend den Kopf abschneiden lassen. Nun schrei ich aus vollem Hals, solange ich noch kann.“ – „Ei was, du Rotkopf“, sagte der Esel, „zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall. Du hast eine gute Stimme und wenn wir zusammen musizieren, so muss es eine Art haben.“ Der Hahn ließ sich den Vorschlag gefallen und sie gingen alle viere zusammen fort.

Sie konnten aber die Stadt Bremen in einem Tag nicht erreichen und kamen abends in einen Wald, wo sie übernachten wollten. Der Esel und der Hund legten sich unter einen großen Baum, die Katze und der Hahn machten sich in die Äste, der Hahn aber flog bis in die Spitze, wo es am sichersten für ihn war. Ehe er einschlief, sah er sich noch einmal nach allen vier Winden um, da däuchte ihn, er sähe in der Ferne ein Fünkchen brennen und rief seinen Gesellen zu, es müsste nicht gar weit ein Haus sein, denn es scheine ein Licht. Sprach der Esel: „So müssen wir uns aufmachen und noch hingehen, denn hier ist die Herberge schlecht.“ Der Hund meinte, ein paar Knochen und etwas Fleisch dran täten ihm auch gut. Also machten sie sich auf den Weg nach der Gegend, wo das Licht war und sahen es bald heller schimmern und es ward immer größer, bis sie vor ein hell erleuchtetes Räuberhaus kamen. Der Esel, als der größte, näherte sich dem Fenster und schaute hinein. „Was siehst du, Grauschimmel?“ fragte der Hahn. „Was ich sehe?“ antwortete der Esel. „Einen gedeckten Tisch mit schönem Essen und Trinken, und Räuber sitzen daran und lassen’s sich wohl sein.“ – „Das wäre was für uns“, sprach der Hahn. „Ja, ja, ach, wären wir da!“ sagte der Esel. Da ratschlagten die Tiere, wie sie es anfangen müssten, um die Räuber hinauszujagen und fanden endlich ein Mittel. Der Esel musste sich mit den Vorderfüßen auf das Fenster stellen, der Hund auf des Esels Rücken springen, die Katze auf den Hund klettern und endlich flog der Hahn hinauf und setzte sich der Katze auf den Kopf. Wie das geschehen war, fingen sie auf ein Zeichen insgesamt an, ihre Musik zu machen: der Esel schrie, der Hund bellte, die Katze miaute, und der Hahn krähte. Dann stürzten sie durch das Fenster in die Stube hinein, dass die Scheiben klirrten. Die Räuber fuhren bei dem entsetzlichen Geschrei in die Höhe, meinten nicht anders, als ein Gespenst käme herein und flohen in größter Furcht in den Wald hinaus. Nun setzten sich die vier Gesellen an den Tisch, nahmen mit dem vorlieb, was übrig geblieben war und aßen, als wenn sie vier Wochen hungern sollten.

Wie die vier Spielleute fertig waren, löschten sie das Licht aus und suchten sich eine Schlafstätte, jeder nach seiner Natur und Bequemlichkeit. Der Esel legte sich auf den Mist, der Hund hinter die Türe, die Katze auf den Herd bei der warmen Asche und der Hahn setzte sich auf den Hahnenbalken. Und weil sie müde waren von ihrem langen Weg schliefen sie auch bald ein. Als Mitternacht vorbei war und die Räuber von weitem sahen, dass kein Licht mehr im Haus brannte, auch alles ruhig schien, sprach der Hauptmann: „Wir hätten uns doch nicht sollen ins Bockshorn jagen lassen“, und hieß einen hingehen und das Haus untersuchen. Der Abgeschickte fand alles still, ging in die Küche, ein Licht anzuzünden, und weil er die glühenden, feurigen Augen der Katze für lebendige Kohlen ansah, hielt er ein Schwefelhölzchen daran, dass es Feuer fangen sollte. Aber die Katze verstand keinen Spaß, sprang ihm ins Gesicht, spie und kratzte. Da erschrak er gewaltig, lief und wollte zur Hintertüre hinaus, aber der Hund, der da lag, sprang auf und biss ihn ins Bein und als er über den Hof an dem Miste vorbei rannte, gab ihm der Esel noch einen tüchtigen Schlag mit dem Hinterfuß. Der Hahn aber, der vom Lärmen aus dem Schlaf geweckt und munter geworden war, rief vom Balken herab: „Kikeriki!“ Da lief der Räuber, was er konnte, zu seinem Hauptmann zurück und sprach: „Ach, in dem Haus sitzt eine greuliche Hexe, die hat mich angehaucht und mit ihren Fingern mir das Gesicht zerkratzt; und vor der Türe steht ein Mann mit einem Messer, der hat mich ins Bein gestochen; und auf dem Hof liegt ein schwarzes Ungeheuer, das hat mit einer Holzkeule auf mich losgeschlagen; und oben auf dem Dache, da sitzt der Richter, der rief: ‚Bringt mir den Schelm her.’ Ich machte, dass ich fort kam.“ Von nun an getrauten sich die Räuber nicht weiter in das Haus, den vier Bremer Musikanten gefiel’s aber so wohl darin, dass sie nicht wieder heraus wollten.

Ende
 

Mittwoch, 26. August 2009

Das Gruseln - nach Ludwig Bechstein





Von einem der auszog das Gruseln zu lernen
auch bekannt als „Das Gruseln“

frei erzählt nach Ludwig Bechstein




Es waren einmal zwei Brüder, von denen war der eine, der älteste, sehr klug; der jüngere aber hatte, wie man so sagt, nicht das Pulver erfunden. Das machte dem Vater große Sorge, dem Sohn aber keine, denn er lebte ganz sorglos in den Tag hinein, wie die Dummen halt leben. Er mochte wohl, ohne dass er’s wusste, das Sprüchlein im Kopfe haben: ‚Hänschen, lerne nicht zu viel, du musst sonst zu viel tun’. Wenn der Vater etwas verrichtet haben wollte, so musste er’s allemal dem älteren, dem Matthes sagen, denn der jüngere, das Hänschen, richtete alles verkehrt aus, zerbrach den Ölkrug und die Spiegel, oder blieb eine Ewigkeit fort. Matthes dagegen machte alles gut, nur einen Fehler hatte er, er war furchtsamer Natur, es gruselte ihn gar zu sehr. Wenn er abends am Kirchhof vorbeiging, so gruselte ihn und wenn er eine Gespenstergeschichte erzählen hörte, so bekam er vom vielen Gruseln eine Gänsehaut, wie ein Reibeisen, und klagte: „Ach, ach, ach es gruselt mich gar zu sehr.“ Sein Bruder aber, das dumme Hänschen, lachte ihn oft deshalb aus und sagte: „Hä, hä, wie kann es einen nur gruseln? Die Kunst möcht ich können, mich gruselt’s nicht – möchte wahrlich das Gruseln lernen!“

„Du siehst aus, wie einer, der was lernt!“ schalt der Vater das Hänschen. „Zeit wär’s freilich, du wirst ein großer starker Lümmel – aber mit dem Gruseln lernen, du Dumpfbacke, da ist’s nichts, das ist keine Kunst, damit verdienst du kein Körnlein Salz zum lieben Brote. Und weißt du denn auch, wie man das Gruseln lernt? Was gilt die Wette, dass du auch dazu zu dumm bist?“

Während der Vater und der Bruder noch das dumme Hänschen auslachten, kam der Küster, der auch Schulmeister im Ort war, zu Besuch, und hörte noch, wie das Hänschen verlacht wurde und bekam erzählt, dass der Bube gern das Gruseln lernen wolle. „Das kann er bei mir prächtig lernen!“ sprach der Küster. „Mein Schulhaus ist das allerelendeste Loch von einem Hause im ganzen Ort, mich gruselt’s den ganzen Tag, dass mir’s über den Kopf zusammenfällt und einmal die hoffnungsvollen Schüler alle erschlägt. Gebt mir das Hänschen herüber, ich muss ja so manchem Dummbart Wissen beibringen, werd ihm doch wohl auch das Gruseln lehren können!“ Der Vater fand den Vorschlag gut und das Hänschen folgte dem Küster hinüber in das alte wackelige Schulhaus. Ihn gruselte das aber gar nicht, es war ihm einerlei, dass das Haus einzustürzen drohte.

Nun sann der Küster auf eine List, die dem Hänschen auf alle Fälle das Gruseln beibringen sollte. Er befahl ihm die Abendglocke zu läuten, rannte aber noch vor ihm heimlich hinauf in den Glockenturm und als Hänschen zur Treppe hinauf war und den Strang zur Glocke fasste, hörte er von der Treppe her einen dumpfen stöhnenden Laut. Wie er sich umsah, stand dort eine große weiße Schleiergestalt starr und unbeweglich. „Wer bist du? Was willst du?“ fragte Hänschen, ohne dass ihn nur im mindesten gegruselt hätte. Keine Antwort. „Ich frage dich, wer du bist?“ rief Hänschen mit stärkerer Stimme. Keine Antwort. „Hast du keinen Mund, du Bettlaken? Noch einmal: was willst du?“ Keine Antwort. – Mein Hänschen nicht faul, sprang mit einem Satz auf die Gestalt los und rannte sie, pardauz! über den Haufen, dass sie ein ganzes Stück die Stiegen hinunter kollerte und was für Stiegen! Stiegen von solcher Art, wie sie nur auf alten Dorfkirchtürmen anzutreffen sind, ausgetreten, verrottet, eng, voll alten Staubes. Unten lag das Gespenst und ächzte und stöhnte. Hänschen aber läutete zum Abendgebet und schwang gar wacker den Glockenstrang, als wäre eben nichts vorgefallen. Dann kletterte er wohlgemut die Stiege hinab und ging aus dem Turme, dessen Türe er hinter sich zu schloss. Die Küsterin wusste gar nicht, wo ihr Mann blieb. „Wo ist er denn?“ fragte sie Hänschen. „Wer?“ fragte Hänschen. „Mein Mann!“ sagte die Küsterin. „Er ist ja vor dir hinüber auf den Turm.“ – „So!“ sagte Hänschen: „Ist er das gewesen? Es stand jemand im weißen Laken an der Treppe, der wollte mir nicht Red und Antwort geben. Da hab ich ihn die Treppe hinab gestoßen, er liegt noch drüben und ächzt.“ – „Du Wahnsinniger!“ schrie die Küsterin, riss Hänschen den Schlüssel aus der Hand und rannte zum Turm, da lag ihr Mann in seinem Bettlaken und hatte ein Bein gebrochen.

Jetzt erging es Hänschen gar nicht gut, die Küsterin beschwerte sich bei seinem Vater. Der wurde ganz böse und schrie: „Ein Taugenichts ist der Junge, aus den Augen soll er mir! Fort marsch! Hier ist Geld – geh, mir kommst du nimmermehr vor die Augen. Nur Schaden hat man von dir, du Nichtsnutz!“

„Geh mit Gott, Hänschen!“ spottete Matthes, „Sorge fein, dass du das Gruseln lernest, das Gruseln soll jetzt Mode sein. Den Menschen draußen in der Welt gruselt’s vor allem, da wirst du das Gruseln schon lernen!“

Hänschen ging. Er hatte etwas Geld und wenn einer Geld hat, braucht’s ihn erst recht nicht zu gruseln. Unterwegs sprach er öfter vor sich hin: „Wenn mich doch nur gruselte, wenn mich doch nur gruselte!“ Das hörte ein Mann, der hinter Hänschen lief und sprach zu ihm: „Schau dorthin – dort stehen Galgen, da hängen Räuber und Mörder dran – gerade ihrer sieben. Nimm unter den sieben dein Nachtlager, da lernst du das Gruseln.“

„Wenn das wahr wäre“, sprach Hänschen, „so wollt ich dir morgen früh all mein Geld geben. Kannst zu mir kommen und es holen, oder - du kannst ja auch gleich bei mir bleiben!“

„Ich bin doch kein Narr, dass ich unterm Galgen bei dir bliebe!“ antwortete jener. „Nein, mein guter Gesell, das Gruseln lernt sich viel besser, wenn einer allein, als wenn er zu zweit ist. Gute Nacht! – Auf Wiedersehen, morgen in der Frühe!“ – Hänschen setzte sich unter den Galgen, machte sich, weil es kalt war, ein Feuerchen an, das hell zu den Gehenkten hinauf schien. Und der scharfe Nachtwind bewegte ihre schlotternden Körper hin und her, hin und her.

„Ei, ihr armen Teufel!“ rief Hänschen hinauf. „Euch friert ja, dass ihr klappert. Wartet ich will euch herunter holen, ihr sollt euch an meinem Feuer wärmen.“ Hänschen nicht faul, fand eine Galgenleiter, stieg hinauf, knüpfte die Gehenkten los und setzte sie an sein Feuer. Die gehängten Räuber und Mörder aber schauten erbärmlich aus, grün, blau und jämmerlich abscheulich und sie regten und rührten sich nicht. Das Feuer brannte und begann die Lumpen und Fetzen anzukohlen, welche um die toten Leichname herum hingen. „Na?“ sagte Hänschen, „ihr lasst ja eure Kleider verbrennen! Das ist nicht recht. Wartet – ich will euch helfen so unachtsam zu handeln! Strafe muss sein!“ Nahm sie, einen nach dem andern und hing sie wieder hinauf. Danach hüllte er sich in seinen Mantel, streckte sich an sein Feuer und schlief lächelnd ein. So fand ihn der Mann, mit dem er gestern gegangen war und der heute kam, das Geld zu holen. Da er aber Hänschen so ruhig schlafen sah, hegte er keine Hoffnung, dass der das Gruseln über Nacht gelernt hatte. Als Hänschen nun aufwachte und ihm erzählte, was er sonderbares erlebt habe, da wandte sich der Mann zum Gehen und sprach: „So etwas wie dich habe ich wirklich noch nie kennengelernt. Du lernst das Gruseln nie!“

Wie Hänschen nun auch weiter seines Weges ging, sprach er vor sich hin: „’s ist doch alleweil schade, dass ich das Gruseln nicht erlernen kann, muss wohl doch zu dumm dazu sein. Ei, ei – wenn ich doch nur das Gruseln könnte.“

Das hörte ein Fuhrmann, der desselben Weges daher kam, der sprach zu Hänschen: „Ei, kannst du das Gruseln nicht? Dann kehre nur dort in dem Wirtshaus am Weg ein, wenn du Geld hast, der Wirt macht betrügerisch hohe Rechnungen. Mich hat’s noch jedes mal gegruselt, wenn ich in dessen Haus einkehren musste.“ – „Das wollen wir sehen!“ sprach Hänschen, dankte dem Fuhrmann und schritt auf das Wirtshaus zu.

„Was führt dich des Wegs?“ fragte der Wirt. „Möchte’s Gruseln lernen“, antwortete Hänschen. „Die Leute auf der Landstraße sagen, bei Euch wär’s leicht zu lernen. Ihr machtet so gruslig hohe Rechnungen!“ und nahm Platz in der Wirtsstube. Wie Hänschen so schmauste und trank, kam er mit dem Wirt ins Gespräch und erzählte ihm ausführlich von seinen Abenteuern und dass es ihm nicht möglich war, sich dabei zu gruseln. ‚Donnerschlag!’ dachte der Wirt bei sich, ‚Wenn ich den mit der Rechnung betrüge, wer weiß, wie’s mir dann ergeht’, und er lud Hänschen auf freies Essen und Trinken ein, wie es ihm beliebe. Der Wirt plauderte also weiter: „Euch sind Lügen berichtet worden, in meinem Hause kann man das Gruseln keineswegs lernen und ich bediene meine Gäste nicht so, wie Euch irgendein Narr erzählt hat. Ist’s Euch um Gruseln zu tun, so geht dort hinauf auf das alte verwunschene Spukschloss da droben auf dem Berg und seht zu, dass Ihr die Königstochter zur Frau bekommt, die ihr Vater dem versprochen hat, der das Schloss von seinen Geistern befreit; da gibt’s was zu gruseln - und reich zu werden - oder tot.“

„Ich will es so tun, wie Ihr mir ratet“, sagte Hänschen und der Wirt sprach weiter: „Damit, dass Ihr hinauf geht, ist's noch nicht getan. Erst müsst Ihr beim König um Erlaubnis bitten und dann müsst Ihr drei Nächte lang droben bleiben. Kommt Ihr mit dem Leben davon, so ist die Prinzessin Eure Frau.“

Hänschen ging eilend zu dem König, der sehr freundlich aussah, bat um die Erlaubnis und erhielt sie. Dann sprach der König: „Mein Sohn, du darfst dir auch dreierlei mitnehmen, aber nur nichts Lebendiges.“ Nun hatte Hänschen schon in seiner Jugend immer gar zu gern Feuer angemacht, an der Drechselbank gesessen und auch bisweilen etwas aus Holz gemacht und er verstand mit solchen Dingen umzugehen. Darum begehrte er weiter nichts mit auf das Schloss zu nehmen, als gutes Holz, eine Zimmermannsaxt und eine Drechselbank. „Damit ich mir die Zeit vertreiben kann.“ – Das ward dem Hänschen gern gegeben und er schlug seinen Sitz in einem schaurigen Zimmer mit großem Kamin im alten Spukschloss auf. Als es Nacht wurde, machte Hänschen ein helles Feuer an, das wärmte und leuchtete sehr schön. Auf einmal kamen zwei riesige, kohlschwarze Katzen, die hatten Augen wie glühendes Feuer und schrien: „Miau, miau, uns friert!“ – „Ei, wenn euch friert, so wärmt euch doch, hier ist ein Feuer!“ sprach Hänschen. Da schlichen die Katzen mit tückischen Mienen an das Feuer heran, dann sagten sie: „Die Zeit wird uns zu lang, wir wollen zu dritt Karte spielen. Du hast doch Geld?“ – „Ja“, sagte Hänschen, „wenn ihr Karten mitgebracht habt.“ Die Katzen hatten wirklich ein Kartenspiel mit falschen, gezinkten Karten. Sie zeigten es und da sah Hänschen, dass sie fürchterliche Krallen an ihren schwarzen Pfoten hatten und er sagte: „Mit Verlaub, eure Frau Mutter hat euch die Nägel recht lange nicht geschnitten, schämt euch was. Kommt, ich will sie euch schneiden!“ Er packte die Katzen und klemmte ihnen die Pfoten in die Drechselbank. Hänschen drehte nun mit dem frisch geschärften Drehstahl, mit dem er eigentlich runde verzierte Tischbeine fertigen wollte, die gefährlichen Krallen der Falschspieler ab. Als es dann an die Pfoten ging, schrien die beiden Zeter und Mordio, dass es Hänschen in den Ohren weh tat. Er schnappte sich also das Lumpenpack und warf sie aus dem Fenster in den Schlossgraben. „So – ihr werdet wohl nie mehr Leute beim geselligen Kartenspiel um ihr Geld betrügen“, rief er noch hinterher.

Nun meinte Hänschen Ruhe zu haben und wollte sie auch genießen. In der Ecke stand ein Bett, da legte er sich hinein und deckte sich zu. Er war aber noch nicht eingeschlafen, da fing das Bett an zu fahren wie ein Wagen und fuhr im ganzen Schloss herum, Trepp auf, Trepp ab, durch Säle und Zimmer – aber Hänschen sagte nur: „Schau, nun spür ich doch, wie’s tut, wenn die großen Herren in ihren Wagen fahren. Fahre du nur immer zu.“ – Endlich mochte das Bett des Fahrens müde sein, es rollte wieder in Hänschens Zimmer, wo das Feuer noch lustig brannte, da stand es still und Hänschen schlief zufrieden ein.

Am andern Morgen stand der König an seinem Bett und sagte: „Na das heiß ich einen gesunden Schlaf, wenn ich den hätte! So gut schlafe ich nicht. Freut mich, dass der Junge noch lebt und schnarcht. Heda! Hänschen!“ – „Schön guten Morgen Herr König! Schon so frühe auf den Beinen?“ fragte Hänschen. „Wünsche wohl geruht zu haben!“ sprach der freundliche König. „Danke, gleichfalls!“ sprach Hänschen. „Kannst auf des Königs Rechnung drunten beim Wirt frühstücken und zu Mittag essen, aber abends bist du wieder hier oben, magst du?“ – „Ei, freilich wohl“, sagte Hänschen, „drei Nächte müssen’s doch wohl sein.“

Wie Hänschen zum Wirte kam, wunderte der sich sehr und fragte: „Nun? Noch lebendig? – Aber das Gruseln wird man doch gelernt haben letzte Nacht?“ – „Leider nicht!“ erwiderte Hänschen. Da fing es dem Wirt selber an vor Hänschen über und über zu gruseln. Hänschen ließ sich’s wohl sein auf des Königs Rechnung und sorgte sich nicht und als es Abend wurde, war er schon wieder oben im Spukschloss und machte sich sein Feuer an. Alles blieb ruhig bis die Turmuhr langsam die zwölfte Stunde schlug – die Geisterstunde. Auf einmal prasselte es droben im Schornstein, als breche alles in tausend Stücke und da kam ein Kerl durch den Kamin herunter gefahren, der war aber nur halb. „Nanu“, sagte Hänschen, »was soll denn das sein? Da fehlt ja noch die andere Hälfte. Anderthalb Mann sind doch noch keine Gesellschaft.“ Kaum hatte Hänschen das gesagt, bautz! kam die andre Hälfte nachgefallen, mitten in das Feuer. Hänschen nahm die beiden Hälften, warf sie aus dem Kamin in die Stube und brachte sein Feuer wieder in Ordnung. Wie er damit fertig war und sich umschaute, war aus den beiden Hälften ein einziger Kerl geworden, aber kein schöner, der saß auf Hänschens Stuhl.

„Platz da!“ schrie Hänschen, „hier sitze ich, marsch, oder ich halbier dich wieder mit der Zimmermannsaxt!“ Murrend rutschte der unheimliche Gast auf einen anderen Stuhl.

Da polterte es erneut im Schornstein, Totenknochen und Schädel prasselten herab und noch vier hünenhafte Männer vom greulichsten Aussehen kamen durch den Kamin gerutscht. „Guten Abend, meine Herren!“ sagte Hänschen, „Sie sind wenigstens ganze Kerle, das lass ich mir gefallen." Die Männer sahen Hänschen mit furchtbaren Blicken an, einer hob an zu sprechen: „Du hast den zwei Teufelskatzen gestern Nacht arg mitgespielt. Wir sind gekommen um Rache zu nehmen, die zwei wollen dich tot sehen, Hänschen.“ – „Aha, dacht ich mir’s doch. Ein Spiel – damit die Zeit vergeht, meine hässlichen Freunde?“ – „ Ja, ein Spiel um dein Leben.“ – „Sehr wohl, ich bin bereit“, sagte unser Held, „die Nacht wollte ohnehin kaum vergehen!“ Flugs ergriff er einen großen Knochen und drechselte einen Kegel daraus und noch einen und noch einen bis es ihrer neune waren.

„Lasst uns Kegeln, ihr düsteren Brüder.“ – „Ja, um dein Leben“, raunte einer der unheimlichen Gäste. Hänschen stellte die neun Kegel auf und ergriff einen Totenschädel, der neben den Kamin gepurzelt war. „Du beginnst, mein lieber Kegelbruder und dann du und dann du. Reih um. Ich zuletzt!“ Die düsteren Gäste kegelten aus Leibeskräften, aber der Totenkopf verhakte sich gar zu oft mit seinem Kiefer in den Ritzen der Dielen. Kaum einer traf einen oder zwei Kegel. Da kam Hänschen an die Reihe. „So geht das bei mir nicht. Mit meiner kleinen Hand brauche ich eine kleinere Kugel zum Kegeln.“ Flugs stand er an der Drechselbank und machte den Totenschädel kugelrund. Damit traf Hänschen alle neun Knochenkegel. „Wiederhole das!“ brummte der größte der ungebetenen Gäste wütend. Und mit seiner Kugel traf Hänschen wieder und wieder alle neune. Da wurden die Männer wütender und immer wütender. Gerade als sie sich doch noch auf ihn stürzen wollten, schlug die Uhr eins. – Die Geisterstunde war vorbei und die Spukgestalten verschwanden.

„Nun so was!“ rief Hänschen. „Ist das auch eine Manier? Erst fordern sie mich zum Spiel heraus, kaum kegle ich besser als sie, machen sie sich aus dem Staube.“ Darauf legte er sich wieder in das Bett, das heute ganz ruhig blieb und schlief bis in den hellen Morgen.

„Heute wird er wohl nicht mehr am Leben sein“, sprach der König, als er auf Hänschens Zimmer zuging, „ich höre ihn nicht wie gestern schnarchen, wird wohl aus sein mit ihm.“ Aber Hänschen ermunterte sich sehr schnell und sprach: »Wünsche wohl geruht zu haben, Majestät!“ – „Gleichfalls, danke schön!“ antwortete der König. „Wie ging es diese Nacht?“ – „Recht hübsch, danke der gütigen Nachfrage, Herr König!“ antwortete Hänschen. „Ich hatte Gäste, wir haben eine gute Stunde lang mit Totenknochen gekegelt.“ Dem König schauderte und er sagte: „Aber das ist ja ganz gruselig!“ – „Was denn, Herr König?“ fragte Hänschen. „Das – eben!“ erwiderte der König. „Nun Glück für dich, Hänschen, zur dritten Nacht!“

„’s ist doch recht fatal, dass ich nimmermehr das Gruseln lerne!“ sprach Hänschen zu sich selbst, als die dritte Nacht herbei kam. Er drechselte zum Zeitvertreib ein wenig, auf einmal schlug es zwölf. Sechs Männer traten in das Zimmer, die trugen einen Sarg, stellten ihn vor Hänschen hin und verschwanden. Hänschen dachte: ‚Wer mag da drinnen liegen?’ und öffnete den Sarg. Da lag einer drin, der war steif und eiskalt. – „Ach den friert, er ist ganz steif vor Frost“, sagte Hänschen, „den muss ich wärmen!“ hob den Toten aus dem Sarge und trug ihn an sein Feuer, aber er blieb kalt. „Der muss ins Bette, da wird er schon erwärmen“ – und nahm ihn und legte ihn ins Bett und sich dazu. Nach einer Weile wurde der Tote wirklich warm, wachte auf und machte sich breit und sagte: „Wer hat dir geheißen mich in meiner Ruhe zu stören? Jetzt sollst du sterben!“ – „Nicht so eilig!“ sagte Hänschen, packte jenen rasch, warf ihn in den Sarg zurück, den Deckel darauf und schraubte denselben schnell zu. Da kamen gleich die sechs Männer wieder, die hoben den Sargkasten auf und trugen ihn fort. Hänschen drechselte weiter. 

Bald darauf stürmte ein greulicher Riese herein, mit großem langem Bart, der schrie: „Wurm! Jetzt musst du sterben! Du musst mit mir!“ – „Ich gehe nicht mit dir!“ sagte Hänschen. „Ich hab jetzt keine Zeit. Ich habe noch zu tun, wie du siehst!“ und setzte sich wieder an seine Arbeit, trat das Rad und drehte die Drechselbank geschwind weiter. Der Riese bog sich über das Rad und wollte Hänschen fassen. Mit einem Male schrie er aber laut: „Au! Au! Mein Bart, mein Bart!“ Es war das Ende des Bartes in die Drechselbank geraten und hatte sich durch das schnelle Drehen fest gewickelt und zog nun den ganzen Kopf nach sich. Hänschen trat weiter frisch drauf los und sagte: „Kerl, hab Acht, jetzt drehe ich dir deine große Nase ab und drehe aus deinem dicken Kopf eine Kegelkugel, so wahr ich Hänschen heiße!“ Da bat der Riese um sein Leben, Hänschen solle ihn gehen lassen, er wolle ihm auch drei Kisten voll Gold zeigen, eine sei dem König, die zweite sei den Armen bestimmt, die dritte wolle er ihm schenken. „Nun wohl“, sagte Hänschen, „gib sie her, aber bis ich’s habe, bleibst du in den Bock gespannt und trägst die Drechselbank auf den Schultern.“

Das war ein sehr unbequemes Tragen, die Bank auf den Schultern und den Bart ins Rad verflochten, das zog. Der Riese ging nun in ein geheimes Zimmer voran und zeigte Hänschen die Kisten voll Gold. Indem schlug es eins, da verschwand der Riese und die Drechselbank stand ohne Träger. Hänschen war es, als ob die Kisten auch Miene machten zu verschwinden, da rief er: „Halt, halt!“ und fasste sie und hielt sie fest und zog sie hinüber in sein Zimmer, worauf er sich schlafen legte, wieder ohne Gruseln.

Am andern Morgen kam der König, und fragte: „Nun, diese Nacht war dir’s doch ganz gewiss recht gruselig?“ - „Wie so denn, Herr König?“ fragte Hänschen. „Ich habe eine Kiste voll Gold geschenkt bekommen, auch eine für Euch und eine für die Armen. Muss es einem gruselig werden, wenn man Gold geschenkt bekommt?“ - „Du hast Großes vollbracht“ sprach der König. „Durch deine Furchtlosigkeit hast du das Schloss von den Geistern befreit und den verzauberten Schatz an das Licht gezwungen. Du sollst auch deinen Lohn haben und meine Tochter heiraten!“ – „Sehr gern, Herr König!“ sagte Hänschen, „es ist aber doch schade, dass ich heiraten soll und bin noch so dumm, dass ich noch nicht das Gruseln gelernt habe.“ – „O mein lieber Schwiegersohn!“ erwiderte der König. „Heirate du nur, da wird sich alles finden. Es hat schon mancher das Gruseln nicht gekonnt, hat geheiratet und da ist ihm außerordentlich gruselig geworden. Er hat die Gänsehaut nicht wieder los werden können.“ - „Da kann ich Hoffnung haben, mich in der Ehe zu gruseln, Herr König!“ rief Hänschen vergnügt aus.

Bald war eine herrliche Hochzeit, Hänschen war sehr glücklich, sehr reich und hatte eine wunderschöne junge und gescheite Frau, doch sagte er des öfteren: „Weiß nicht, wie lange es noch in meiner Ehe dauern soll, bis ich’s Gruseln lerne.“ - ‚Gut, wenn das dein größter Wunsch ist, mein lieber Gemahl’, sprach zu sich selbst Hänschens Gemahlin, ‚Dich soll es doch bald gruseln.’ Sie ließ einen Eimer kaltes Wasser mit kleinen jungen Fröschen herbeischaffen und als Hänschen schlief, nahm sie ihm die Bettdecke weg und schüttete den Eimer voll Wasser mit dem glitschigen Getier über Hänschen aus. „Brrr!“ fuhr er auf und schrie lauthals – „Brrr! Mich gruselt es, es gruselt mich! Hab eine Gänsehaut, wie ein Reibeisen! Siehst du, liebe Frau? Endlich – nun kann ich das Gruseln, das Gruseln, das Gruseln, Brrr!“


Ende